Fräulein Gretchen.

Pfingst-Humoreske von Teo von Torn
in: „Baltische Post” vom 24.5.1914


Die kleine Frau von Palitz entledigte sich ihrer Handschuhe und deponierte sie energisch auf den Tisch des Hauses. Dann nestelte sie ihr Reisehütchen von dem derangierten Blondhaar, ordnete letzteres flüchtig und setzte sich mit einem hörbaren Ruck ihrem Gatten gegenüber. Sie gab sich nicht einmal so viel Zeit, auch den Mantel abzulegen. Die Hände im Schoß gekreuzt, saß sie kerzengrade.

„Da bin ich also!”

Hauptmann von Palitz räusperte sich, fuhr mit dem Zeigefinger in den Kragen seiner Litewka und beeilte sich, zu erwidern:

„Eine freudige Ueberraschung. Ich bin sehr glücklich darüber, Mariechen. Mit dem Strohwitwertum ist es ——”

Er unterbrach sich — in dem unklaren Gefühl, die Sache nur zu verschlimmern. Wenn er nur eine Ahnung gehabt hätte, was eigentlich die kleine Frau zu dieser forzierten Heimkehr veranlaßt. Dann könnte er sich doch ein bißchen darauf einrichten. Aber so — — — es war schrecklich.

Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und paßte in verlegenem Spiel die Fingerspitzen aufeinander.

„Was ist’s mit dem Strohwitwertum?”

„Es ist nicht schön, Mariechen.”

Frau Marie von Palitz lachte auf, daß es dem Unglücklichen kalt über den Rücken lief.

„Also nicht schön! Und um es zu verschönern, wolltest du —”

In ihrer unnatürlich gehobenen Stimme und um ihre Mundwinkel begann es verdächtig zu zucken — wie vor einem jener feuchten Niederschläge, die ihm so schrecklich waren.

„Was wollte ich —?” fragte er kleinlaut und ohne aufzublicken.

Die junge Frau betupfte heftig ihr rechtes, dann ihr linkes Auge und schließlich die leicht gerötete Spitze des Näschens mit ihrem Taschentuche, bewegte dann letzteres in kurzer energischer Abwehr und sagte wegwerfend:

„Ach, was soll ich mich mit einem so verstockten und heuchlerischen Menschen weiter abgeben! Mit einem Menschen, dem in Abwesenheit seines ahnungslosen Weibes nicht einmal das Pfingstfest heilig ist! Ich gehe zur Mama. Noch heute! Vorher aber werde ich dich in deiner ganzen Schlechtigkeit entlarven, du — du — — —”

Mit einem raschen Griff nahm sie ihren Hut, mit einem zweiten ihre Handschuhe und stob davon.

*           *           *

„Ist meine Frau hier —?”

Hauptmann von Wietersloh schaute wie ein Narr. „Wenn du solche verrückten Fragen an mich stellen willst, dann mach wenigstens die Tür zu damit meine Dienstboten nicht merken, daß du überkandidelt bist. —— Deine Frau? Die ist doch mit der meinen wegen unserer keuchhustenden Kinder auf För!”

„Gewesen. Seit heute früh ist sie wieder da.” ”„An verflucht — dann ist meine Alte wahrscheinlich auch nicht mehr weit. Aber, was ist denn geschehen?”

Herr von Palitz hob ratlos und bekümmert die Schultern. Nachdem er dem Freunde erzählt, was sich ereignet, pfiff dieser bedenklich durch die Zähne.

„Also solch ein Duckmäuser bist du —?”

„Mensch, ich schwöre dir . . .”.”

„Du sollst nicht fluchen, schwören, zaubern. Wir sind allesamt Sünder. Nur mit dem Unterschied, daß der eine ein besseres, der andere ein schlechteres Gedächtnis dafür hat. Hast du dein Gewissen ernsthaft erforscht?”

„Ich bin mir nicht der geringsten Fehle bewußt”

”Und du weißt auch nicht, was sie im Auge haben könnte? Wie ich das Temperament deiner kleinen Frau kenne, wird ihr im Zorn doch wenigstens eine Andeutung entschlüpft sein —”

„Nichts. Sie hat nur als erschwerend betont, daß mir nicht einmal das Pfingstfest heilig ist.”

„Na, das ist doch schon sehr wichtig! Was hast du denn für die Feiertage vorgehabt?”

„Ich habe mich bei meinem Schwager Martius auf Bistritz angesagt — für morgen und übermorgen. Ich meine — solider kann man doch Festtage gar nicht verbringen, als bei einem Schwager und trockenen Junggesellen, der gar keine andere” Leidenschaft kennt, als seine Pferde”

„Allerdings nicht. Hast du deiner Frau davon geschrieben?”

„Das ist mir nicht erinnerlich.”

„Nicht erinnerlich! Was das für ein Hammeltalg ist! Als Strohwitwer muß einem im brieflichen Verkehr mit der Frau alles erinnerlich sein. Sonst darf man sich nicht wundern, wenn man sich Unannehmlichkeiten zuzieht. Du bist Generalstäbler — mithin ein gelehrtes Huhn, und als solches zerstreut. Wahrscheinlich ist dir in dem jüngsten Briefe an deine Eheliebste irgend eine Wendung untergelaufen, die nach einem Mißverständnis geradezu brüllt. So wird es sein. Deshalb aber Räuber und Mörder? Laß dir bei dieser Gelegenheit sagen, Palitz, daß du keine gute Figur in deinem Hause machst. Du hast dich in den knapp zwei Jahren deiner Ehe so runterkriegen lassen, wie andere Menschen nicht in zehn. Das ist verkehrt. Du mußt der kleinen Frau mal den Standpunkt klar machen —”

„Das ist auch meine feste Absicht. Jch kann mir als unschuldiger Mensch diese Behandlung heute nicht gefallen lassen. Außerdem ängstige ich mich zu Tode, wo sie hin sein kann. Bei den Eltern ist sie nicht, bei Rüttorfs nicht, bei Helfershausens nicht, bei dir nicht &mdash, es ist, um aus der Jacke zu gehen! Jch werde ihr sagen — —”

„Du wirst gar nichts sagen, lieber Freund, sondern handeln! Du suchst sie —nun mag sie dich nachher suchen, wenn sie eingesehen hat, daß sie dir unrecht getam. Wir gehen in den Kasinogartem, brauen uns dort eine Waldmeisterbowle und sitzen gemütlich bis zum Abend. Wenn wir die nötige Bettschwere haben, schläfst du hier bei mir und morgen mit dem frühesten Zug fährst du programmmäßig nach Bistritz hinaus.”

„Aber Wietersloh — das geht doch nicht. Ich bin noch niemals über Nacht — —”

„Miez, du mußt dich gewöhnen — sagte der Bäcker, als er mit der Katz den Backhofen ausfegte. Zeig’ ihr, daß du ein Mann bist, daß du dich in deiner Unschuld ernstlich gekränkt fühlst — und sie wird es sich für alle Zukunft zwiefach überlegen, ehe sie dir eine solche Szene macht.”

Hauptmann von Palitz schwankte noch einige Minuten zwischen Liebe und Energie. Dann entschloß er sich zur letzteren und ging auf den Racheplan ein.

*           *           *

Es ist eine alte Erfahrung. Wenn solide Menschen aus irgend einem Grunde einmal unsolide werden, dann werden sie es gründlich.”

Aus der einen Waldmeisterbowle waren zwei geworden mdash; und aus der einen Flasche Sekt, die man noch zur besonderen Festigung der Manneswürde leeren wollte, nicht weniger als vier.

Die Folge war, daß die Herren überhaupt zu schlafen vergaßen Um fünf Uhr morgens entschied sich Hauptmann von Palitz aus verschiedenen Gründen dafür, nicht per Bahn zu reisen. Wahrscheinlich würde ihm in dem Gewühl bzw. in der stickigen Enge des Coupés schlecht werden. Er hatte in dieser Hinsicht keine sehr feste Natur. Deshalb pumpte er sich Wieterslohs Braunen aus, um die vier Meilen nach Bistritz zu Pferde zu machen.

Aber auch diese Transportmethode bereitete ihm bei seinem Befinden nur geringes Vergnügen. Er hatte das Gefühl, als wenn er über Nacht zur Marine übergetreten und Kommandant eines Hochsee Torpedobootes geworden wäre. Dazu die immer peinigender aufsteigenden Gedanken an sein armes Weib . . .

Ihm war moralisch und physisch so spottschlecht, wie er sich noch an keinem Alltage befunden — geschweige denn an einem so unvergleichlich schönen Pfingstmorgen.

Der Empfang, den sein Schwager ihm bereitete, ließ auch zu wünschen übrig.

„Hör mal du —” knurrte der Gutsbesitzer ihn an, „bei euch in der Stadt ist wohl eine Drehwurmepidemie ausgebrochen, was ?”

„Weshalb meinst du, Ewald?”

„Weshalb! Gestern soll — ich war nicht zu Hause — Marie hier gewesen sein, an meine Leute allerhand verrückte Fragen gestellt haben und dann wieder abgetanzt sein, wie nicht gescheut.”

„Also hier war sie —?”

„Na ja — das solltest du doch wissen! Dafür bist du der Mann. Oder läßt du deine Frau planlos in der Welt rumgondeln? Außerdem — was willst du denn heute hier? Ich habe gar keine Zeit. Ich bin beim Domänenrat Paulsen zum Frühstück eingeladen”

„Aber Ewald, ich habe mich doch rechtzeitig angemeldet bei dir!”

„Angemeldet —?”

„Hast du dann meinen Brief nicht bekommen?”

„Einen Brief — — ganz recht, einen Brief habe ich bekommen. Vor zwei Tagen. Stand allerhand Liebesgebrunzel drin und war augenscheinlich nicht für mich bestimmt”

„Dann habe ich wohl die Briefe verwechselt. Aber auch in diesem Falle verstehe ich Maries Aufregung nicht. Sie ist ganz plötzlich von För zurückgekommen, hat mir eine entsetzliche Szene gemacht und ist dann davongelaufen — um mich zu entlarven, wie sie sagte”

„Und du hast sie inzwischen noch nicht gesprochen?”

„Nein. Ich war in meinem Zorn mit Wietersloh ausgegangen und — —”

„Na, dann kannst du dir gratulieren, Freundchen! Sie hat sich wie wild gebärdet und hinterlassen, daß sie heute mit dem ersten Zuge wiederkommen würde. In einer Viertelstunde kann sie da sein. Was hast du denn überhaupt ausgefressen?”

„Liebster, bester Ewald — wahrhaftigen Gott, ich habe keine Ahnung. Ich fühle mich so unschuldig wie eins von deinen jüngsten Kälbern. Sag’ mal — — Marie kommt her? Wirklich?”

„Ich habe den Wagen zur Bahn geschickt. Er muß bald zurückkommen.”

„Dann ist es es wohl besser, ich verkrümele mich fürs erste. Nicht, daß ich mich schuldig fühle — beileibe nicht! Nur wegen des nächtlichen Ausbleibens - weißt du. Erweise mir die Liebe, Ewald, und hol’ Marie aus, worum es sich handelt. Ich werde inzwischen nach meiner Falbenstute sehen, die du in Pflege hast, und mit ihr ein paar Gänge auf der Brachwiese machen. — Und das eine rate ich dir, Ewald — — heirate nie. Nie!”

„Denk ich auch gar nicht daran,” knurrte der Gutsbesitzer amüsiert.

Noch aufgekratzter wurde er, als wenige Minuten später seine Schwester ankam und mit der Miene einer trauernden indischen Wittib auf ihn zntrat. Augenscheinlich hatte sie sich inzwischen zurechtgelegt, daß die Zapplichkeit für ein so tief gekränktes Weib sich nicht schicke.

„Ewald —” hauchte sie mit zuckendem Munde. „Max ist die Nacht über nicht daheim gewesen„

„So. Dann wird er wohl seine Gründe gehabt haben”

„Gründe? Er —? Dieses Scheusal? Und du, Ewald, du steckst mit ihm unter einer Decke. Du bist — —”

„Auch ein Scheusal.”

„Jawohl, das bist du!” begehrte die kleine Frau verzweifelt auf. „Hier — lies! Diesen Brief, der für dich bestimmt war, habe ich erhalten. Ich bin gespannt, ob du nun noch den Mut hast, mich zynisch zu behandeln„

„Da bin ich auch gespannt, Kindchen,” erwiderte er trocken und nahm das unkenntlich zerknitterte Schreiben entgegen:

„Lieber Ewald! Wenn ich keine Gegenorder bekomme, möchte ich die beiden Pfingsttage bei dir zubringen. Jch muß mich mal wieder eingehender mit Fräulein Gretchen beschäftigen, die ich seit zwei Monaten kaum zu Gesicht bekommen. Das liegt aber nur daran, daß ich immer noch nicht die Courage hatte, meiner Frau etwas davon zu sagen. Und es ist besser so. Auch dich bitte ich, nach wie vor reinen Mund zu halten. Du kennst ja Maria Darf ich also kommen? Herzl. Gruß Dein Max.”

Unbewegten Antlitzes faltete Ewald Martius den Brief zusammen und reichte ihn zurück.

„Nun —!? Sprich, Elender, der du dem Ungetreuen Vorschub leistest!”

„Ja. Kleinchen, was ist da viel zu reden. Geh’ hin und faß ihn ab. Er ist augenblicklich mit Fräulein Gretchen auf der Brachwiese hinter dem Garten —”

*           *           *

Im übrigen gab es ein sehr fröhliches Pfingfest auf Bistritz — nachdem die kleine Frau sich ihres argen Verdachts und auch der Tatsache hinlänglich geniert, daß ihre hausfrauliche Genauigkeit den Gatten veranlaßt, seinen dritten Gaul heimlich zuzureiten.

Fräulein Gretchen wurde in Gnaden aufgenommen.

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